Bergsehnsüchtig

Draußen unterwegs

Allgäu: Einsame Pfade am Riedberger Horn

Für alle, die diesen Gipfel noch nicht kennen: Das Riedberger Horn ist ein Panoramagipfel oberhalb des gleichnamigen Passes, der als höchstgelegene befahrene Straße in Deutschland Fischen und Balderschwang verbindet. Auf das Horn führt bis heute – glücklicherweise – keine Seilbahn. Auch wenn es vor wenigen Jahren intensive Diskussionen gab, das angrenzende kleine Skigebiet Grasgehren auszubauen. Deshalb ist das Riedberger Horn noch relativ ursprünglich und muss selbst erlaufen werden. Trotzdem ist vor allem der Aufstieg von der Berghütte Grasgehren und dem angrenzenden Parkplatz des Skigebiets relativ überlaufen. Wir wählen deshalb einen anderen Aufstieg und starten in Balderschwang.

Unweit der Kirche im Ortszentrum gehen wir zunächst in Richtung Wandergebiet Hochschelpen. Im Winter ist hier zwar ein kleines Skigebiet. Im Sommer jedoch ruht hier der Betrieb. Und Ruhe ist ein gutes Stichwort, denn an diesem Morgen in der zweiten Junihälfte ist es ruhig. Einzig ein paar Vögel singen, Insekten und Bienen summen, das allgäutypische Kuhgeläut weht von den Hängen herüber. Sonst gibt es nicht viel. Wir nehmen also den Weg an der Bolgenach und marschieren in Richtung Schwabenhof. Er markiert in ein paar Kilometer Entfernung das andere Ende des 240-Seelen-Ortes Balderschwang. Dazwischen liegt aber ein wunderschöner Spazierweg, der durch Wald führt, zwischendurch die Bolgenach überquert und ihr folgt. Die Sonne stößt durch Bäume und wirft ihr Licht auf zahlreiche Farne und Blumen. Bänke am Wegesrand laden zum Rasten ein. Zum Einlaufen ist der Weg wunderbar geeignet. An einer Lichtung gibt er auch das erste Mal einen Blick auf unser Tagesziel frei: das Riedberger Horn.

Es wird steil

Wenig später erreichen wir den Schwabenhof und den angeschlossenen Wohnmobilstellplatz. Diesen durchschreiten wir mit freundlichem Grüßen der frühstückenden Camper. Nachdem wir die Bundesstraße überquert haben, zwängen wir uns durch das erste Drehkreuz des Tages. Danach empfangen uns fressende Kühe. Ein, zwei folgen uns sogar ein paar Meter. Ein Erlebnis, das aufgrund der Größe der Tiere immer wieder etwas furchteinflößend ist.

Der Weideboden federt unter unseren Wanderstiefeln und beginnt sich zu ‘heben’. Es beginnt steil zu werden. Man merkt, dass hier im Winter eine Skiabfahrt ist. Das bringt uns jetzt schnell ins Schnaufen und Schwitzen. Wir nutzen deshalb sehr gerne die ersten Serpentinen, um wieder zu Luft zu kommen und die Aussicht zu genießen. Schließlich zeigt sich der schneebedeckte Ifen und möchte bestaunt werden. Also tun wir ihm den Gefallen.

Auch danach bleibt es steil. Und der fast weglose Pfad führt über Weidefläche nach weiter nach oben. Bäume spenden gelegentlich etwas Schatten. Meist brennt die Sonne aber direkt nach unten. Zur Linken aufgereiht: Bleicherhorn und Höllritzereck. Direkt vor uns: der Dreifahnenkopf. Diese drei Gipfel soll(t)en eigentlich unsere weiteren Tagesziele sein. Dass das nichts werden wird, wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Das Riedberger Horn hingegen sehen wir aus der aktuellen Position – es ist die ‘Bergstation’ des Skilifts, der vom Schwabenhof hinauf kommt – nicht, dafür aber einen Wegweiser, der uns in einen Bergwald hineinführt.

Mystische Sonnenstrahlen

Der Weg wird jetzt zum Pfad. Bäume rücken nah an den Pfad heran. Sonnenstrahlen scheinen durch die Bäume auf den Boden – ein besonderes, fast schon mystisches Lichtspiel. Weidezaun grenzt ihn rechts noch weiter ein. Wir steigen über Wurzeln und müssen genau schauen, wo wir hintreten. Zwischendurch heißt es zudem, größere Stufen zu meistern und durch hereinragenden Farn zu wandern. Wir treten wenige später aus dem Wald heraus auf eine freie Fläche mit Wegweiser an der tiefsten Stelle. Uns führt der Pfad weiter gerade aus, nach oben. Und wieder tauchen wir in einen kleinen Bergwald ein.

Von Weitem hören wir jetzt ein Klopfen – eher ein Hämmern. Was passiert hier? Wenig später wird unsere Frage beantwortet. Drei Arbeiter richten den Weidezaun und fixieren mit geübten Schlägen den Maschendraht an den dafür vorgesehenen Holzpfählen. Sie bereiten also alles für den Almauftrieb vor, denn Kühe sind so weit oben aktuell noch nicht. Der Bergwald verschwindet nun und wird von mannshohen Sträuchern und Almrosen abgelöst. Der schmale Pfad ist weiterhin fordernd – ein gleichmäßiges Laufen kaum möglich.

Wir heben den Kopf und schauen nach oben: das Riedberger Horn zeigt sein Gipfelkreuz. Erst jetzt, kurz vor dem Gipfel kommen uns die ersten Wanderer entgegen. Bis hier hin war es wirklich einsam. Das ändert sich dann als wir das Horn mit seinen 1.792 Metern erreichen. Hier ist mehr los. Überall sitzen Menschen, die das atemberaubende 360°-Panorama genießen. Viele picknicken. Kleine Kinder werden lauter als nötig für Fotos in Position gebracht. Die ganze Szenerie ist alles andere als ruhig. Wir setzen uns deshalb abseits. Auch so bauen sich vor uns fast die kompletten Allgäuer Alpen auf. Leider ist es diesig. Alle theoretisch möglichen Gipfel können wir also nicht sehen. Das ändert aber nichts an der Erhabenheit dieses Ausblicks, dieses Platzes, dieses Gipfels.

Altschnee sorgt für Routenänderung

Nach einer langen Pause machen wir uns wieder auf den Weg. Unser Ziel:  Bleicherhorn, Höllritzereck, Dreifahnenkopf. Doch direkt nach dem Gipfel wirft Altschnee unseren Plan über den Haufen. Der erste, steile Teil wird von einem großen Schneefeld ‘blockiert’. Wir beginnen den Abstieg. Doch Wohl fühlen sieht anders aus. Es ist glatt und schmierig. Das Feld kann nicht umgangen werden. Also kehren wir nach wenigen Metern um und gehen in Richtung Grasgehren. Irgendwie werden wir schon wieder nach Balderschwang kommen.

Wir passieren erneut das Riedberger Horn und wählen für den Abstieg aber nicht den leichten Panoramaweg, sondern gehen weiter gerade aus. Der anfangs breite Weg ist ausgewaschen. Es gibt überall Rillen und Löcher, unterschiedlich hohe Stufen. Der Weg macht aber Spaß. Und schon bald sind wir wieder alleine. Vom Trubel auf dem Gipfel hören wir nichts mehr. Wenige Wanderer kommen uns entgegen. Mit uns steigt nur einer ab. Nach wenigen hundert Metern verengt sich der Weg. Er gleicht nun wieder mehr einem Pfad – einem Grat. Links von uns liegt ein großer Kessel. Ein Greifvogel kreist darüber und sucht nach Beute. Rechts von uns baut sich wieder der Wald auf, den wir an anderer Stelle schon durchschritten hatten.

Wenig später erscheint auf der rechten Seite ein allseits bekanntes Drehkreuz im Weidezaun. Wo führt dieser Weg hin? Ein Wegweiser und extra Werbeschild sagen: Hier geht es zur Oberen Mittelalpe und weiter nach Balderschwang. Das ist doch mal was. Da ist das Ziel, von dem wir auf dem Riedberger Horn noch nichts wussten. Ein verschlungener Pfad führt durch den verwunschenen Wald. Über Wurzeln. An Steinen und Felsen vorbei. Ein toller Weg! Schnell merken wir, dass wir durch windgeschütztes Gelände marschieren. Es ist warm, fast schon drückend.

Blumen und Panorama

Wir gehen weiter hinab. Der Wald wird lichter und geht in offenes, blühendes Weidegelände über. Viele Blumen stehen hier in vielen Farben, in voller Pracht. Das Gras ist saftig. Die Szenerie ist fast schon kitschig. Nach einer halben Stunde einsamen Abstiegs erreichen wir die Alpe. Hier müssen wir einkehren, denn auf der Karte steht hausgemachter Käsekuchen geschrieben. Und der Kuchen hält, was er verspricht. Ebenso der Ausblick. Er ähnelt dem Panorama weiter oben auf dem Riedberger Horn. Also alles richtig gemacht.

Nach der Einkehr geht es noch ein Stückchen unkompliziert bergab. Wir queren einen namenlosen Bach und marschieren auf einem geschotterten Fahrweg im leichten Auf und Ab in Richtung Balderschwang. Nach einer weiteren halben Stunde stoßen wir auf eine Weggabelung, die wir schon vom Vormittag kennen. Wir könnten jetzt wieder Richtung Gipfel laufen – machen wir natürlich nicht – oder den Schwabenhof anpeilen. Das letzte Viertel unserer Tour ist also deckungsgleich mit dem Anfang. Für uns aber kein Problem. Denn das Wetter hat sich gebessert und so erscheinen alle schönen Flecken des Morgens buchstäblich in einem anderen Licht. Und einsam sind wir dabei immer noch.

Back to top