Im Montafon – ein Tal in Vorarlberg – waren wir noch nie. Eine Schande, wie wir schon auf unserer ersten Wanderung feststellten. Denn der Montiel Maisäß und der Netza Maisäß waren dabei nur zwei von zahlreichen Höhepunkten. Unsere Rundtour starteten wir im Ortszentrum von Sankt Gallenkirch. Zwar liegt das Bergdorf nach eigener Aussage mitten im größten Skigebiet des Montafon. Doch glücklicherweise merkt man davon nicht so viel wie in anderen Skiorten. Ganz im Gegenteil. Deshalb haben wir auch keinen ‘Fluchtreflex’ an unserem Startpunkt im Schatten der Kirche. Dennoch entfernen wir schnell von der Hauptstraße. Zunächst durch ein lose bebautes Wohngebiet, liefen wir auf Nebenstraßen gleich steil bergan. Das sorgt zusammen mit der ungetrübt an diesem Sommertag scheinenden Sonne dafür, dass der Schweiß schnell rinnt und wir zügig außer Atem sind. Damit haben wir gute Gründe, immer mal wieder zu halten und die für uns neue Bergwelt zu bestaunen. Auch die Alpakas, die auf einer der Weiden stehen, gehören zu den Neuentdeckungen.
Nach einigen Höhenmetern lassen wir auch die letzten Bauernhöfe und Wohnhäuser hinter uns. Die Straße endet und unser Weg wird natürlich. Wobei Weg zunächst der falsche Ausdruck ist, denn es geht direkt über eine saftige Wiese sehr steil bergan. Keine Serpentine. Keine Kurve. Direkt und steil. Zeit mal wieder innezuhalten und zu staunen. Schließlich kennen wir das alles noch nicht. Am Ende dieses insgesamt etwa halbstündigen Aufstiegs passieren wir ein altes Holz(wohn)haus und biegen zum ersten Mal in Bergwald ab. Wir freuen uns über die Kühle im Wald und das Plätschern eines kleinen Bachs. Unser Pfad führt uns immer weiter hinauf. Hohe Nadelbäume säumen ihn und geben gelegentlich Ausblicke frei: auf Sankt Gallenkirch im Tal und die gegenüberliegende Bergwelt mit unzähligen Gipfeln.
Erstes Ziel erreicht: der Montiel Maisäß
Nach etwa zwei Stunden Aufstieg öffnet sich vor uns der Bergwald. Eine große freie Fläche mit zahlreichen sonnengegerbten Holzhäusern liegt vor uns: der Montiel Maisäß. Auch dies ist für uns das erste Mal, dass wir so etwas sehen. Der Maisäß wirkt wie ein kleines Dorf auf über 1.300 Metern – ohne Straße, dafür mit einer kleinen Kapelle. Von einer Infotafel lernen wir, dass der letzte dauerhafte Bewohner von Montiel schon vor ein paar Jahren verstorben ist und was Maisäße überhaupt sind – Teil der sogenannten Dreistufenlandwirtschaft. Dabei wird die gesamte Vegetation eines Lebensraumes jahreszyklisch für die Versorgung des Viehs genutzt. Maisäße bilden die zweite, mittlere Stufe in dieser bergbäuerlichen Landwirtschaft. Das Vieh bleibt hier im Frühjahr für ein paar Wochen, bevor es zu den Sommerweiden noch weiter oben weiterzieht. Auch ohne dieses Wissen ist Montiel ein besonderer, ganz idyllischer Ort, der sogar eine eigene Kapelle hat. Unser Weg führt über saftige Wiesen, einmal quer durch Häuseransammlung. Einfach nur schön.
Wir lassen Montiel hinter uns. Über weichen Wald- und Wiesenboden führt uns der Pfad weiter nach oben. Links und rechts stehen weiterhin Bäume und Sträucher. Doch diese Vegetation wird lichter. Dafür ist das Gras um uns herum kniehoch und ragt auf den Weg. Scheinbar wird diese Tour selten gegangen – unverständlich – und Weidetiere waren schon längere Zeit nicht hier.
Immer wieder bleiben wir stehen, um die atemberaubende Bergwelt zu bewundern. Unzählige Gipfel sind in unserem Rücken. Vor uns baut sich ebenfalls eine hohe Wand auf, deren Gipfel wir aus unserer Position aber nicht erkennen können. Dort müssen wir allerdings heute nicht hinauf. Stattdessen biegt unser Weg nach rechts ab. Einen anderen gibt es nicht, sodass man sich gar nicht verlaufen kann. Auch an anderen Stellen wäre das schwierig, denn unzählige Markierungen und Wegweiser leiten die Wanderer zum Ziel. Nachdem wir einen namenlosen Bach durchschritten haben, erreichen wir den höchsten Punkt der Tour. Von nun an heißt es: abwärts.
Idylle: Zweiter Teil
Schon bald erreichen die nächste Maisäß – die Obere Netza. Wie bei Montiel blicken wir auf eine Ansammlung von kleineren Holzhäusern, deren Wände und Dächer von der Sonne über die Jahre gegerbt wurden. Sie schmiegen sich hier allerdings an einen steileren Hang. Der nächste Bergzug scheint zum Greifen nah. Das Gras unter unseren Füßen ist saftig. Die Sonne strahlt vom weiß-blauer Himmel hinab. Einmal mehr: Idylle und Ruhe. Denn auch hier stoßen wir auf keine Menschenseele. Apropos Seele: die Atmosphäre, die dieser Platz ausstrahlt, tut so gut. Uns gefällt es deshalb hier sogar noch besser als auf der Montiel Maisäß. Leider müssen wir auch diesen Seelenplatz verlassen und marschieren auf einem steilen Pfad zwischen den Häuschen hinab. Ein letzter Blick zurück. Wir steigen jetzt auf einem steilen Pfad in zahllosen Serpentinen hinab in Richtung Gorthipohl. Erst hier kommt uns zum ersten Mal ein Wanderer entgegen.
Am Ende des Abstiegs warten zwei Überraschungen auf uns: der Balbierfall und eine kleine Herde Ouessantschafe – sogenannte Bretonische Zwergschafe. Während feine Wassertröpfchen des hinabstürzenden Bachs sich auf unserer Haut sammeln, berühren die kleinen felligen Tiere unsere Herzen. Sie sind sehr zutraulich und genießen unsere Streicheleinheiten. Als sich wenig später auch noch der Besitzer der Schafe zu uns gesellt, wollen wir eigentlich gar nicht mehr weiter. Der sympathische Einheimische erzählt uns eine Menge über die Ouessantschafe und ihre Herkunft. So haben wir heute nicht nur eine Menge gesehen, sondern auch etwas gelernt. Ein paar Meter weiter lernen wir sogar noch mehr.
Dialekt lernen an der Ill
Doch zunächst folgendem Balbierbach, der über Kaskaden ins Tal fliest. Dort in Gorthipol laufen wir durch ein Wohngebiet, überqueren die Hauptstraße und verlassen den Ort auch schon wieder in Richtung ‘Sportanlage Gemeinde Gallenkirch’. Wir könnten an der Hauptstraße auch in den Bus steigen und zum Ausgangspunkt zurückfahren. Für uns ist das heute keine Option.
Nach wenigen Metern zeigt ein Wegweiser an, dass wir nach rechts gehen sollen. Kurz sind wir durcheinander, welchen der beiden Wege wir nehmen sollen. Die Entscheidung fällt dann doch leicht – den linken. Denn der rechte ist der asphaltierte Radweg, und auf dem wollen wir nicht zurück. Noch wissen wir aber nicht, was uns auf den letzten Kilometern unserer Tour erwartet. Wir wandern nun im Schatten an der Ill entlang. Links von uns baut sich steil ein Höhenzug auf – ‘oben’ finden sich mit der Maisäß Garfrescha und der Alpe Nova zwei weitere lohnende Ziele. Wir bleiben ‘unten’ und lernen den einzigartigen Montafoner Dialekt kennen. Denn unser Weg ist ein ‘Dialektweg’. Unzählige Schilder erklären einheimische Wörter wie „Fuxa“ (ärgern), „malad“ (müde) oder „Raggel (schlecht ernährtes Rind). Wir kommen gar nicht mehr richtig vorwärts, denn wir wollen jedes Schild lesen. Der Höhepunkt des ‘Dialektweges’ sind sogenannte „Gäßscherma“ (alte Ziegenstallungen) zu Beginn des Wegs (bei uns am Ende). Dort wurden Dialekt- und Gedankenräume mit speziellen Wörtern auf montafonerisch eingerichtet. Wir haben also noch einmal was gelernt, bevor es über die Ill und die letzten Meter bergan zum Ausgangspunkt geht.