Integraler Bestandteil dieser Alpenüberquerung – und manchmal auch ein Vorwurf – ist die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln. So auch heute. Am Anfang steht deshalb heute eine etwa einstündige Fahrt von Mayrhofen zum Schlegeisspeicher. Der Stausee beziehungsweise seine Staumauer hat schon in einem James Bond Berühmtheit erlangt. Neben der ursprünglichen Nutzung wird die Mauer auch beklettert – ein Klettersteig wurde 2016 hier eröffnet. Man merkt aber nicht nur deshalb die stärkere touristische Erschließung. Bereits morgens und Wolken am Himmel sind einige Leute unterwegs. Aber das soll uns nicht weiter kümmern. Wir verlassen recht schnell den Schleigeis. Denn heute soll es nach Südtirol gehen. Dafür überschreiten wir beim Pfitscher Joch den Alpenhauptkamm.
Die Fahrt mit dem Bus ist heute sogar mal richtig interessant. Sie führt nämlich größtenteils auf der Alpenstraße Schlegeis, einer mautpflichtigen Panoramastraße. Man sieht also eine Menge und entfernt sich gleichzeitig immer weiter von der Zivilisation.
Am Schlegeis angekommen, lassen wir die imposante Landschaft inklusive Schlegeisgletscher erst einmal auf uns wirken. Laufen ein Stück auf der hohen Staumauer und starten schließlich weit nach allen anderen bekannten Alpenüberquerern auf die heutige Etappe. Ein breiter Weg führt zunächst an Wanderparkplätzen/Mobilstellplätzen vorbei. Wir passieren die Jausenstation Zamsgatterl. Nun steigt der Pfad leicht an. Größere und kleinere Steinplatten müssen überwunden werden. So geht es am Zamserbach immer tiefer in den Zamser Grund hinein. Links und rechts bauen sich Bergwände auf. Schon nach kurzer Zeit erreichen wir den Schrammach Wasserfall. Er rundet diese traumhafte Kulisse ab.
Unser Weg steigt weiter leicht bergan. Das Rauschen des Wasserfalls hallt im Tal nach. Die Wiesen sind saftig. Latschen und ein paar größere Gesteinsblöcke säumen den einfachen Weg. Nichts trübt die Idylle. Höchstens ein paar dunkle Wolken zeigen uns, dass wir uns nicht zu viel Zeit lassen sollten. Schließlich gehen wir heute über den Alpenhauptkamm – natürlich nicht an seiner höchsten Stelle.
Ein wenig überraschend wird es wenig später wesentlich steiler. Die Gesteinsbrocken liegen jetzt auch auf dem Weg, Sie sind aber dennoch leicht zu bezwingen. Außerdem wird recht schnell die Lavitzalm sichtbar. Das motiviert. Vielleicht kann man ja hier schon einmal einkehren. So ist der kleine Zwischenaufstieg schnell geschafft. Doch die Enttäuschung folgt auf den Fuß: Die Alm hat für uns geschlossen. Der kurze Stimmungsdämpfer gerät aber schnell in Vergessenheit, denn vor uns öffnet sich ein Hochtal mit Bachlauf, Schotterwegen und unglaublichen Ausblicken. Und irgendwo am Horizont lässt sich das Pfitscher Joch erahnen.
Der Zamserbach will gefurtet werden – mehrmals
Die Wolkendecke reißt noch einmal auf: Blauer Himmel, Schäfchenwolken und Sonne wechseln sich ab. Und unten führt uns der Weg wieder ein paar Meter hinab in Richtung Zamserbach. Der Schotter auf dem Weg erschwert das Laufen manchmal. Gibt aber halt, wenn man das kleine Flüsschen quert. Das passiert ein paar Mal. Manchmal muss der Weg im Wasser gesucht werden, damit man nicht zu tief ins Wasser geht. Seit der Lavitzalm sind wir nicht so weit gegangen. Die Zeit geht trotzdem dahin.
Schließlich stehen wir am Talschluss und müssen hinauf zum Pfitscher Joch. Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder einen weiten Bogen laufen oder direkt. Der Schotterweg der ersten Variante verheißt keine sonderliche Spannung. Also nehmen wir den direkten Weg. Der führt über und zwischen Gesteinsblöcken. Manchmal muss man die Hände ein bisschen zur Hilfe nehmen. Den Weg suchen. Sich an anderen Wanderern orientieren. Aber unterm Strich macht dieser Weg viel mehr Spaß, trotz unserer großen Rucksäcke. Außerdem gewinnt man schneller an Höhe. So kommen wir dem Pfitscher Joch auch schneller nahe. Unsere hungrigen Mägen danken es uns.
Benvenuti in Italia – der Alpenhauptkamm wird überschritten
Nach dieser letzten Anstrengung erreichen wir schon bald das entscheidende Schild, das uns auf den Grenzübertritt nach Italien informiert. Eine kleine Senke noch. Ein kurzer Anstieg folgt. Und schon stehen wir vor dem Pfitscher Joch Haus. Endlich. Doch zuerst besuchen wir die kleine Kapelle gegenüber. Und gehen kurz in uns. So etwas haben wir hier nicht erwartet. Umso bewegender ist es.
Danach betreten wir die warme, gut gefüllte Gaststube und treffen schnell ein paar alte Bekannte. Manche haben wir ein paar Tage schon nicht mehr gesehen. Umso größer ist die Freude. Der Duft von leckerem Essen und Kaffee füllt die Stube. Die durchdringende Stimme des Wirts gibt der Küche die Bestellungen hungriger Wanderer durch. Man fühlt sich gleich wohl. Draußen zieht es gerade zu. Das verstärkt dieses Gefühl. Apropos. Unser Gefühl sagt, dass es dieses Mal mehr für uns zu essen geben wird als Süßspeisen. Schließlich gehen wir heute über den Alpenhauptkamm. Man kann sich Entscheidungen auch schönreden. Wir entscheiden uns für einen großen Teller Minestrone und Spaghetti Bolognese. Klassiker. Aber hey: Wir sind Italien.
Nachdem wir uns die Bäuche vollgeschlagen haben, geht es an den Abstieg. Wir sehen schon unser Tagesziel: St. Jakob/San Giacomo. Und realisieren gleich, dass sich unsere Knie über diesen Abstieg vom Alpenhauptkamm nicht freuen werden. Aber hilft ja nichts. Gleich hinter Pfitscher Joch Haus erleben wir Geschichte hautnah. Denn wir laufen militärische Überreste aus dem Ersten Weltkrieg. Irgendwie beklemmend.
Danach geht es steil bergab über Almwiesen. Man könnte auch die Fahrstraße nehmen. Ist nicht so steil. Knieschonender, aber nicht so interessant zu gehen. Wir lassen uns Zeit beim Abstieg. Auch wenn die Wolken Regen verheißen. Der erreicht uns dann nach mehr als der Hälfte des Abstiegs. Wir sind schon wieder so tief, dass wir teilweise durch dichten Wald laufen können. Zum Glück regnet es sich heute noch nicht ein. Ganz im Gegenteil. Wir haben die Talsohle erreicht und die Sonne kommt sogar wieder raus. Und so gehen wir unsere letzten Kilometer über nasse Wiesen und genießen die Sonne. St. Jakob müssen wir noch durchqueren – Asphalt – und erreichen unser Quartier für die Nacht.